top of page
Paula Schmidt

Vom Bauhaus bis Brutalismus: Warum architektonische Stile unser Designverständnis prägen

Architektonische Stile sind weit mehr als nur Bauformen – sie sind Ausdruck eines kulturellen Zeitgeists, ästhetische Statements und gleichzeitig Inspirationsquellen für viele weitere gestalterische Disziplinen. Von Grafikdesign über Produktgestaltung bis hin zu Markenstrategien: Viele kreative Ansätze lassen sich auf Ideen zurückführen, die ursprünglich in der Architektur entwickelt wurden. Doch was steckt hinter diesem transdisziplinären Einfluss, und warum prägen Stilrichtungen wie Bauhaus, Brutalismus und Co. bis heute unser Verständnis von Design?


Bauhaus: Die Geburtsstunde des modernen Designs


Wenn es um Gestaltung geht, führt kein Weg am Bauhaus vorbei. Gegründet 1919 von Walter Gropius in Weimar, brachte das Bauhaus eine neue, funktionale Designsprache hervor, die radikal mit der ornamentalen Pracht des Jugendstils brach. Die Bauhaus-Philosophie betonte klare Formen, geometrische Strukturen und eine Reduktion auf das Wesentliche. "Form follows function" wurde zum Leitsatz und inspirierte nicht nur die Architektur, sondern auch Grafikdesign und Produktgestaltung.

Das heutige UI/UX-Design, das auf Übersichtlichkeit und Benutzerfreundlichkeit setzt, steht in direkter Tradition dieser Denkschule. Die typischen rechteckigen Formen, die klare Gliederung von Textblöcken und die dezente Farbgebung in modernen Websites erinnern stark an die Arbeiten von Bauhaus-Designern wie Josef Albers oder László Moholy-Nagy.


Foto von Ross Sokolovski auf Unsplash

Foto von Marina Reich auf Unsplash

Brutalismus: Beton gewordene Ehrlichkeit


In den 1950er und 60er Jahren entstand ein weiterer prägender Stil: der Brutalismus. Geprägt durch die massiven Betonbauten von Architekten wie Le Corbusier, setzte der Brutalismus auf radikale Offenheit und strukturelle Ehrlichkeit. Rohbeton, sichtbare Konstruktionselemente und massive Volumina kennzeichnen diesen Stil, der bis heute polarisiert.


Interessanterweise hat der Brutalismus eine Renaissance in der digitalen Welt erlebt. Websites im „brutalistischen Webdesign“ zeichnen sich durch bewusst rohe Layouts, verzerrte Schriftarten und unkonventionelle Elemente aus, die im Kontrast zu den glattpolierten, minimalistischen Designs der letzten Jahre stehen. Der Brutalismus im Webdesign macht deutlich, dass eine gewisse "Roheit" und Unvollkommenheit als ästhetisches Statement verstanden werden kann – eine Verweigerungshaltung gegenüber der Perfektion des digitalen Mainstreams.



Foto von Pierre Châtel-Innocenti auf Unsplash


De Stijl: Abstrakte Perfektion in Form und Farbe


Eine weitere Stilrichtung, die nachhaltigen Einfluss auf modernes Design hatte, ist De Stijl. Die niederländische Bewegung, deren prominentestes Mitglied Piet Mondrian war, setzte auf geometrische Abstraktion und eine strikte Farbpalette aus Rot, Blau, Gelb, Schwarz und Weiß. Diese strenge Ästhetik prägte sowohl das Möbeldesign (etwa durch Gerrit Rietveld) als auch die moderne Kunst und Architektur.


Das Zusammenspiel aus Flächen, Farben und Linien beeinflusste auch die Gestaltung von Corporate Identities und Logos. Viele aktuelle Marken setzen auf eine reduzierte Farbpalette und kombinieren diese mit geometrischen Elementen, um eine zeitlose, aber dennoch prägnante visuelle Identität zu schaffen. Ein Paradebeispiel ist das Design der Google-Logos, das stark von der Klarheit und Struktur von De Stijl beeinflusst ist.


Postmoderne: Der rebellische Bruch mit der Ordnung


In den 1970er Jahren war es Zeit für eine Gegenbewegung: Die Postmoderne entstand als ironische Reaktion auf die Rationalität und Strenge des modernen Designs. Architekten wie Robert Venturi oder Michael Graves setzten auf verspielte Formen, bunte Farben und eine Mischung aus Stilen, die bewusst mit den Erwartungen der Betrachter spielten.


Heute erleben wir eine Rückkehr zu postmodernen Prinzipien im neuen Trend des Maximalismus. Grafikdesigner nutzen verspielte Layouts, expressive Typografie und Farbkombinationen, um sich bewusst vom funktionalen Minimalismus abzusetzen. Dieser „Anything-goes“-Ansatz wird besonders in Kampagnen und Editorial Designs sichtbar, die mit künstlerischen Effekten und retro-futuristischen Elementen arbeiten.






Die Grenzen zwischen Architektur und anderen Designdisziplinen sind fließend. Architektonische Stile beeinflussen Grafikdesign, Typografie und die visuelle Kommunikation auf tiefgreifende Weise. Während das Bauhaus für Reduktion und Funktionalität steht, bringt der Brutalismus mit seinen roh belassenen Formen eine neue Ästhetik der Unvollkommenheit in digitale Designs ein. De Stijl lehrt uns, wie kraftvoll die Kombination von Farbe und Form sein kann, und die Postmoderne erinnert daran, dass Design auch Ironie und Verspieltheit integrieren darf.


Das Spannende daran: Jeder Stil hat seine eigene Sprache und sein eigenes Vokabular – und doch teilen sie die gleiche Absicht, den Raum zu gestalten, in dem wir leben, arbeiten und denken. Von Gebäudefassaden bis hin zu Markenauftritten prägen sie unser Verständnis von guter Gestaltung und fordern uns dazu heraus, Konventionen immer wieder neu zu denken.

bottom of page